Blonde Lippen

Haare von Popstars in der Inszenierung und Rezeption geschlechtlicher und sexueller Identitäten

Ellen Wesemüller

„I'm tired of everybody touching me“

Britney Spears über ihre Glatze

Als sich Britney Spears im Februar 2007 eine Glatze rasierte, war sich die publizierte Meinung schnell einig. Erstens: Dieser Mensch ist verrückt geworden. Zweitens: Ein Mensch ohne Haare ist keine begehrenswerte Frau1, keine sorgende Mutter, höchstens eine verlorene Tochter. Der Akt der Rasur wurde diskursiv begleitet und verarbeitet, der Diskurs wurde wirkmächtig und produzierte neue Materialitäten: Innerhalb des folgenden Jahres wurde Spears in Krankenhaus und Psychiatrie zwangseingewiesen. Sie verlor für zwei Jahre das Sorge- und teilweise das Besuchsrecht für ihre beiden Kinder. Schließlich wurde die damals 26-Jährige im juristischen Sinne zum Mädchen: Ihr Vater erhielt die Vormundschaft und damit die Verfügungsgewalt über ihr Vermögen.2

Haare von Popstars eignen sich zur Analyse von Geschlechterverhältnissen in doppelter Weise. Zum einen ist die popkulturelle Sphäre ein dankbarer Raum, um empirische Daten zu sammeln und Diskurse zu analysieren. Die Fähigkeit von Popstars, Emotionen – und damit (unbewusste) Sehnsüchte – auszudrücken und hervorzurufen, ermöglicht Einblicke in gesellschaftliche Ungleichverhältnisse, Normativitäten und Utopien. In der Popkultur und ihrer Rezeption werden auch immer wieder bewusst Strategien eingesetzt, gesellschaftliche Missstände zu thematisieren, anzugreifen und zu verändern.3

Zum anderen gelten Haare im gesellschaftlichen Diskurs als Teil des biologischen Körpers, dem jedoch zugesprochen wird, in vielfältigerer Weise als andere Körperteile form- und veränderbar zu sein. Haare stehen so für eine Schnittstelle „zwischen Natur und Kultur“ (Burkhart 2000: 62) bzw. „zwischen Körper und Repräsentation“ (Künzel 2004: 121) und können besonders augenfälliger Ausdruck einer „Naturalisierung des Sozialen“ (Burkhart, a.a.O.) sein. Haare sind, so möchte ich hinzufügen, Schnittstelle zwischen gesellschaftlichen Zuständen und der individuellen Reaktion darauf – auch auf die Anforderung, im patriarchalen Geschlechterverhältnis eine Position einzunehmen und auszufüllen. Weil ihnen das Paradox, Natur und Kultur gleichzeitig zu sein, eingeschrieben ist, werden Haare zum Kriegsschauplatz zwischen struktureller Ungleichheit und Normierungspraxen einerseits und dem Gefühl individueller Verantwortung demgegenüber andererseits. Ein Widerspruch, den Lady Gagas Perücken-Performanz mit dem bezeichnenden Titel Born this way (2011) auf den Punkt bringt.

Nicht nur die psychische Verfasstheit, auch und gerade geschlechtliche und sexuelle Identitäten werden regelmäßig an den Haaren der Popstars abgelesen. In der körperlichen und verbalen Inszenierung der Künstler_innen selbst, vor allem aber in der medialen Rezeption auf selbige, so meine These, werden damit patriarchale, zweigeschlechtliche und zwangsheterosexuelle Geschlechterverhältnisse (re-)inszeniert und (re-)produziert.4 Um dies zu belegen, werde ich zwei Beispiele darstellen und typisieren: Die weibliche Performanz in Gefahr (Britney Spears' Glatze) und die weibliche Performanz im Schatten des Cyborgs5 (Lady Gagas Perücken).

Viele wissenschaftliche Texte, die Haare und Geschlecht analysieren, versuchen, Kausalitäten zwischen der Qualität der Haare und der spezifischen, geschlechtlichen Zuschreibung herzustellen (vgl. Junkerjürgen 2009; Budde 2004; Künzel 2004; Mühlen Achs 2003). Oft stellt sich jedoch heraus, dass diese Zuschreibungen kontextabhängig sind und dass der Wunsch, Geschlechterdifferenzierungen ausfindig zu machen, diese (re-)produziert. Es geht in diesem Artikel deshalb nicht darum, Zuschreibungen anhand von Frisuren zu verfestigen, sondern zu zeigen wie und warum sich in der Vervielfältigung und Integration unterschiedlicher Frisuren – aber auch in deren Ausschließung und Verwerfung – die Vorherrschaft von Patriarchat, Zweigeschlechtlichkeit und Zwangsheterosexualität aufrecht erhalten lässt.6

Meine politische Motivation dabei ist, nach einer feministischen Performanz in der Popkultur zu suchen und diese einzufordern. Feministisch wäre es meines Erachtens, wenn durch die Haare bzw. deren mediale Besprechung Geschlecht als Aufführung angesehen würde und dadurch patriarchale Strukturen der Gesellschaft, die Weiblichkeit nicht nur zuweisen sondern auf allen Ebenen abwerten und benachteiligen, aufgedeckt und angegriffen würden.

Die Fragestellung lautet deshalb: Wo werden Stereotype (durch Haare) (re-)produziert, wo durchbrochen? Wo werden abweichende Performanzen mit einer (queer-)feministischen Praxis verbunden, die patriarchale Verhältnisse angreift?

Theoretischer Hintergrund meiner Betrachtungen sind die Diskursanalyse nach Foucault (1977), dessen oben erwähnte These vom Zusammenhang von Macht mit der Vervielfältigung von Sexualitäten, Butlers These von Geschlecht als performativer Akt7 sowie der Möglichkeit einer subversiven Performanz8 (1991, 1997) und Haraways Vision einer Gesellschaft von Monstern und Cyborgs als Wegbereiter_innen einer Welt ohne Gender (1995).

Methodisch werde ich ausgewählte Artikel aus Zeitungen, Zeitschriften und Online-Medien sowie Videos und Fotos aus dem Zeitraum 2007-2011 analysieren, die herausgearbeiteten Diskurse untersuchen und in einen (queer-)feministischen, theoretischen Kontext setzen.

Die weibliche Performanz in Gefahr: Britney Spears und die Glatze

„Because of you“

Britney Spears auf die Frage eines Fotografen, warum sie sich eine Glatze rasiert habe

Britney Spears, bekannt als das Mädchen mit den langen blonden Haaren, kam am 26. Februar 2007 nach Ladenschluss in den Friseursalon von Esther Tonozzi nach Tarzana, einem Stadtteil von Los Angeles, und bat die Friseurin darum, ihr die Haare abzurasieren. Als sich die Angesprochene weigerte, griff Spears selbst zum Rasierer. Auf den Fotos, die ein Paparazzo durch das geschlossene Fenster aufnahm, hält Spears die Klinge an den halb rasierten Schädel. Am Hinterkopf sind ihre schwarz-gefärbten Haare noch lang, die Knoten der Echthaar-Verlängerungen deutlich erkennbar. „Ihre eigenen Haare waren nur knapp zehn Zentimeter lang“, sagte die Friseurin später. „Sie hatte wohl keine Lust mehr auf das ganze Färbemittel und die Extensions.“ Und: „Es sind nur Haare, die wachsen wieder nach.“ (Bravo.de 2007)

Der Rest der Welt sah das nicht so gelassen. Eine Besucherin des Tattoo-Studios, das Spears anschließend aufsuchte, berichtete, dass Spears – nach ihrer Motivation gefragt – sagte: „Ich will nicht, dass mich irgendjemand anfasst. Ich habe es satt, dass mich jeder anfassen will.“ (New Weekly 2007, e.Ü.) Die Augenzeugin sagte weiter: „Was sie sagte, machte überhaupt keinen Sinn und man konnte sehen, dass sie in keiner guter Verfassung war.“ (Ebd. e.Ü.)

Die Fotos belegen dies nicht ohne Weiteres, denn Spears sieht darauf keineswegs unglücklich aus. Lächelnd, teilweise sogar lachend, schaut sie in den Spiegel. Auch, dass ihre Aussage „keinen Sinn“ (ebd.) macht, kann nicht unbedingt behauptet werden. Wenn eine Glatze für einen weniger weiblichen und damit weniger begehrenswerten und sexuell verfügbaren Körper steht, scheint die Hoffnung Spears' berechtigt, ohne Haare weniger angefasst zu werden.

Es gibt mindestens zwei weitere einleuchtende Antworten Spears' auf die Frage nach ihrem Motiv: „Wegen dir“ (X17 Online 2007), murmelte sie einem Paparazzo entgegen, ein Ausspruch, der als Gegenangriff auf den Umstand eines jederzeit für die Öffentlichkeit fotografier- und filmbaren sowie mit Bewertung einhergehenden Körpers gewertet werden kann. Weiterhin soll Spears nach vollendeter Rasur gesagt haben: „Meine Mutter wird ausflippen“ (Bravo.de 2007), was als Kampfansage und Befreiungsschlag gegenüber einer „Mädchen“-Identität gewertet werden kann.

Ich will nicht ausschließen, dass die Sängerin psychisch unter Druck stand. Was ich jedoch zeigen will ist, dass die Möglichkeit einer selbstbestimmten, rationalen Entscheidung zur neuen Frisur im Diskurs – außer in den Aussagen der Friseurin und Spears' selbst – nicht vorkommt. Bezeichnend ist hingegen der diskursive Aufwand, der betrieben wird, um Spears' Handlung Sinn abzusprechen.

Die Interpretation von Spears' Motivation geht dabei weit über die von den Akteur_innen des Abends geäußerten Positionen und Mutmaßungen hinaus und nimmt großen Raum in der medialen Resonanz ein. Allein die illustrierte Wochenzeitschrift New Weekly trägt folgende Vermutungen zusammen: Spears' Ex-Mann hätte gedroht, ihre Haare zum Drogentest einzureichen, sie hätte Läuse gehabt, sie wäre schon kahl geworden, sie hätte psychischen Druck und/oder eine psychische Krankheit:

„Als eine manische und durchgeknallte Britney ihren Kopf vor den erstaunten Friseuren und Aufpassern rasierte [...] war das ein verzweifelter Schrei nach Hilfe [...] die atemberaubenden Bilder der mit Problemen belasteten Sängerin, die sich ihren Kopf rasierte, machten die Welt darauf aufmerksam, dass sie auf der Kippe steht. Betrachtet man die Ereignisse vor und nach dem Vorfall – einschließlich [...] das Rasieren ihrer Beine in einem Schwimmbad und ihre komischen Perücken – ist ihr noch zu helfen?“ (New Weekly 2007, e.Ü.)

Das Rasieren der Haupthaare wird hier neben auffallend viele andere, als abwegig markierte Haarpraktiken gestellt. Das Rasieren der Beinhaare im öffentlichen Raum und die „komischen“ Perücken legen den Schluss nahe (der allerdings anfangs schon vorausgesetzt wird), dass die Sängerin psychisch krank sei.

Um diese „Beweisführung“ zu manifestieren, werden ‚Experten’ herangezogen. Der New Weekly sagt ein nicht näher definierter Dr. Barry Lubetkin: „Es klingt für mich, als ob sie in einer manischen Phase wäre.“ (New Weekly 2007, e.Ü.) Bravo zitiert Diplompsychologin Christine Baumann: „Ich halte Britney Spears für psychisch krank. Haare gelten als weiblicher Schmuck. Indem sich Britney eine Glatze schert, verhält sie sich selbstzerstörerisch. Es ist ein Hilfeschrei ihrer Seele!“ (Bravo.de 2007) Die Diagnose einer psychischen Krankheit wird durch eine vorgeblich fürsorgliche Stimme mit der Hoffnung auf einen Neuanfang verstärkt. So fragt Bild: „Ist der radikale Schnitt der erste Schritt in ein neues Leben? Ihre Familie und ihre Fans wünschen es ihr von Herzen.“ (Bild.de 2007b) Und, etwas weniger empathisch: „Macht sie jetzt Schluss mit Exzessen und Luder-Leben?“ (Ebd.)

Im Rückblick erscheint eine andere Haar-Veränderung Spears' psychische Krise angedeutet zu haben. So fürchtet In zwei Jahre später einen „Rückfall in die Zeit, als sich Brit erst die Haare schwarz färbte und schließlich ganz abrasierte.“ (In 2009) Das Schwarzfärben der Haare wird als Vorstadium der Glatze und eindeutiges Zeichen eines quasi süchtigen/ kranken Zustands gewertet, in den sie einen Rückfall haben könnte. Weiter heißt es: „Die Folge: ein Aufenthalt in der Psychiatrie.“ (Ebd.) Die Psychiatrie scheint die logische Konsequenz der Glatze zu sein, Spears' Zwangseinweisung wird mit dem Wort „Aufenthalt“ euphemisiert. Der Artikel schließt: „All das ist zwar nicht vergessen, wohl aber vergeben“ (ebd.), ohne zu sagen, wer hier was vergeben hat. Damit entsteht Raum zur Interpretation, der nahelegt, dass auch die Leser_innen von Spears' Verhalten betroffen gewesen sein könnten, ihr deren Schuld nun aber vergeben können.

Worin aber liegt diese Schuld? In der Bewertung als psychisch labil/ krank klingt unüberhörbar die Panik vor sich auflösenden Geschlechterpraxen an. So legt die ‚Expertin’ in Bravo nahe, Spears würde sich selbst zerstören, indem sie das Symbol der Weiblichkeit (Haare als Schmuck) zerstöre. Bild bangt um Spears' Weiblichkeit mit doppelt-weiblicher Zuschreibung:Die früher niedliche Pop-Prinzessin verlottert“ (Bild.de 2007b, Herv. E.W.).

Während Spears angeklagt wird, ihre Weiblichkeit verraten zu haben, wird sie unverhohlen weiter sexualisiert. So titelt Bild: „Britney macht sich nackig“ (Bild.de 2007b), Bravo schreibt: „Britney oben ohne“ (Bravo.de 2007). Die Glatze wird u.a. als Reaktion auf eine Vergewaltigung interpretiert (vgl. Netzzeitung 2007).9 Auch die unterschiedlichen Bezeichnungen der Rasur verstärken eine sexualisierte Bedeutung, z.B. indem sie in Metaphorisierungen Masturbation nahelegen („legte selbst Hand an“ Bild.de 2007b; „eigenhändig geschoren“ Bravo.de 2007). Das Verb scheren anstelle von rasieren weckt eine gewalttätige und tierische Assoziation und legt damit Selbstverstümmelung bzw. Selbstinvalidisierung nahe. Das Scheren kann als performative und visuelle Referenz gelesen werden für das gewalttätige und als Tier zurichtende „Scheren“ von Gefangenen, Rekruten und – dies ist zumindest im europäischen Gedächtnis verankert – französischen Frauen, die mit Wehrmachtssoldaten vermeintlich sexuelle Beziehungen unterhielten. Die Kopfzeile „Geschoren und tätowiert“ (Spiegel-Online 2007) erzeugt sogar Assoziationen mit Bildern weiblicher Opfer der Konzentrationslager.10 In jedem Fall ist das Verb Zeichen eines ge- und zerbrochenen, enteigneten Subjekts, insbesondere seiner Sexualität.

Weiter stellt der mediale Diskurs Spears' Tauglichkeit als Mutter in Frage (vgl. Wesemüller 2008). New Weekly schreibt: „Sie tauschte Muttersein gegen rücksichtsloses Clubbing“ (New Weekly 2007, e.Ü.). Ihr Ex-Mann, Kevin Federline, der nur einen Monat zuvor das Sorgerecht für beide Kinder abgesprochen bekommen und lediglich ein minimales Besuchsrecht hatte, könne nun „die Sicherheit seiner Söhne“ (ebd.) nicht mehr garantieren. Er „kämpft für seine Söhne“ (ebd.), um sie von der „Verrücktheit abzuschirmen“ (ebd.), welche die Mutter ereilt hätte. Im vermeidlichen Angesicht des Zerfalls von Weiblichkeit und Mütterlichkeit werden hier männlich konnotierte Qualitäten und Fähigkeiten (Sicherheit, Kampf, Abschirmen) abgerufen und stilisiert.

Ebenso schreibt der mediale Diskurs sexuelle Identitäten neu zu. So ist das von Bild verwendete „Luder-Leben“ (Bild 2007b) eine auf Frauen zielende Abwertung nicht-monogamer Sexualität. Eine der vielen ‚verwerflichen’ Praxen in der Aufzählung der New Weekly sind lesbische Affären, die im Symbol der Glatze zu kulminieren scheinen:

„Nach Monaten von hartem Feiern, Alkohol- und Drogenmissbrauch, Reha-Aufenthalten, One-Night-Stands und Gerüchten von lesbischen Affären war es für alle offensichtlich, dass sie den Zusammenbruch erreicht hatte, als die Sängerin die Haarschneidemaschine an ihren eigenen Kopf ansetze.“ (New Weekly 2007, e.Ü.)

Der Fall von Spears' Glatze zeigt, dass Zweigeschlechtlichkeit, Heterosexualität und Patriarchat in Gefahr gewähnt werden, wenn der performative Akt einer weiblich-konnotierten Haartracht selbstständig beendet wird. Darin besteht die ‚Schuld’ Spears', die aus den Artikeln spricht, und die nur mit dem Verweis auf ihren pathologischen Zustand gebannt werden kann. Dass das Haar trotz seiner Kürze sexuell interpretiert wird, zeigt, dass Spears weiter als Frau angesehen, sexualisiert oder – als klinische Patientin – ent-sexualisiert werden muss, um die zweigeschlechtliche und heterosexuelle Matrix aufrecht zu erhalten.

Die weibliche Performanz im Schatten des Cyborgs: Lady Gaga in blonden Lippen

„She's sleeping“

Lady Gaga auf die Frage, wo ihre überdimensionierte Haar-Schleife ist

Anders als bei Britney Spears ist die Selbstbezeichnung und -inszenierung Lady Gagas nicht die eines Mädchens/einer jungen Frau, sondern die eines ‚Monsters’: Sie nennt sich selbst „Mother Monster“, ihr zweites Album „The Fame Monster“ und ihre Programmatik „Mother Monster Manifesto“.11 Mit dieser potentiell subversiven Performanz hätte sie die Möglichkeit, einer „monströsen Welt ohne Gender“ (Haraway 1995: 71) den Weg zu bereiten.

Entsprechend ihrer sprachlichen Proklamationen inszeniert sich Lady Gaga in ihren Musikvideos als Wesen außerhalb des menschlichen Geschlechts: In Bad Romance (2009) steigt sie aus einem Sarg, auf dem „Monster“ geschrieben steht, und trägt die Armadillo-Plateauschuhe des Modedesigners Alexander McQueen, die die Grenze zwischen Mensch und Cyborg ebenso thematisieren (vgl. Eckardt 2010) wie die scheinbar implantierten Wangenknochen im Video Born this way (2011).

Eine besondere Rolle in dieser Cyborg-Performance kommt dabei den Haaren zu. In Bad Romance trägt Lady Gaga die Lippen-Perücke des Friseurs Charlie le Mindu – eine Perücke, die die geschlechtlichen Attribute einer begehrenswerten Frau (volle Lippen, blondes Haar) in einem Symbol zusammenfasst und zuspitzt. In Born this way trägt sie die Haare wahlweise zum Turm toupiert, als blonde Pagen-Perücke oder – als Skelett – lange rosa Haare zum Pferdeschwanz hochgebunden. Bei jedem ihrer öffentlichen Auftritte präsentiert sich Lady Gaga mit radikal anderer Frisur – hauptsächlich mit Perücken, die ihre eigene Künstlichkeit ausstellen, wie die übergroße Schleife aus Echthaar. Über ihre Perücken sagte sie der Mainpost:

„Wie ich mich nach außen hin gebe und präsentiere, hängt immer davon ab, wie ich mich in mir drin fühle [...] Heute war mir eben nach roten Locken [...]. [Die Perücke] ist wild und ein wenig durcheinander [...]. Ich denke, ich bin auch vom Kopf her gerade ein bisschen durcheinander und unaufgeräumt.“ (Rüth 2009)

Wo das Sprichwort „krauses Haar, krauser Sinn“ (Junkerjürgen 2009: 116) eine (rassistische oder antisemitische) Abwertung darstellen kann, nutzt Lady Gaga die Gleichsetzung von Haarstruktur und Psyche als eine positive Ausdrucksmöglichkeit (und -anforderung) des Selbst im flexibilisierten Kapitalismus.

Lady Gagas Weiblichkeit wurde – ebenso wie die von Britney Spears – für kurze Zeit in Frage gestellt: Ein Penis, der angeblich während eines Konzerts im Juli 2009 zwischen ihren Beinen zu sehen war, wurde Anlass für das Gerücht, sie sei ein Mann bzw. ein_e Hermaphrodit_in. Warum diese Möglichkeit überhaupt anhand einer unscharfen Aufnahme des Genitalbereichs erwogen wurde, kann durchaus der Haar-Performanz zugeschrieben werden, die sich von jedem Anspruch auf Echtheit und Natürlichkeit lossagt und damit eine potentielle Bedrohung für Weiblichkeitsdiskurse darstellt. Eine Art, diesen Schock abzuwehren, könnte gewesen sein, Lady Gaga zu vermännlichen bzw. zu verzwittern.12

Nachdem sie diese Lesart zunächst selbst bestätigt hatte,13 ließ Lady Gaga schon nach kurzer Zeit keinen Zweifel mehr daran aufkommen, dass sie eine Frau sei,14 die sich außerdem keiner feministischen Agenda verschreiben wolle.15 Sie grenzte sich von einer androgynen Zuschreibung ab und setzte diese in Kontrast zu sexueller Attraktivität:

„Zu Beginn meiner Karriere hat niemand das, was ich anzog, sexy gefunden, sondern eher seltsam. Man hielt mich nicht für sexy, sondern für androgyn. Jetzt, fast zwei Jahre später, wird über mich als sexuelle Person berichtet. Ich ziehe mich sexy an, ich rede über Sex, ich bin provokant – und ich werde angemacht. [...] Deshalb denke ich, dass ich die Leute dazu gebracht habe, anders darüber zu denken, was an mir sexy ist.“ (Waechter 2009)

Auffällig ist jedoch, dass sich Lady Gaga trotz Monster-Behauptung immer wieder als Frau inszeniert: Mit Bikini- und Unterwäscheauftritten, die den Blick freigeben auf einen nackten, ‚weiblichen’, ‚sexy’ Körper; mit Lapdance und Striptease vor Männern; mit langen, blonden, wehenden Haaren. Sogar das erwähnte Skelett aus Born this way, das mit einem anderen Skelett anbandelt, inszeniert den Geschlechterunterschied zwischen den beiden mittels der langen Haare.

Die Sunday Times stellt fest: „Warum sollte sie ein Mann oder sogar ein Hermaphrodit sein? Sie hat eine tiefe Stimme, aber sie ist ziemlich offensichtlich eine Frau“ (Barber 2009, e.Ü.). Bild folgert: „Damit ist das Thema dann wohl geklärt. Lady Gaga ist eindeutig eine Frau. Und das sieht man auch auf den sexy Fotos, mit denen sie zuletzt in zahlreichen Zeitschriften zu sehen war.“ (Bild.de 2009). Der Artikel spielt allerdings gleichzeitig mit der Vorstellung einer Trans*identität, wenn hinzugefügt wird: „Unter anderem für das ‚Schwulen-Magazin Out’.“ (ebd.). Dies legt nahe, dass es zur Marke Lady Gaga gehört, ihre geschlechtliche Identität vielfältig zu inszenieren und zu rezipieren – niemandem aber scheint ernsthaft vorzuschlagen oder anzunehmen, dass sie etwas anderes als eine heterosexuelle Frau ist.

An Lady Gagas Weiblichkeit kommt heute, trotz ständig wechselnder Frisuren und Cyborg-Inszenierungen, kein Zweifel mehr auf: In allen analysierten Artikeln wird sie als Frau beschrieben. Die Süddeutsche Zeitung schreibt ihr sogar eine altertümliche, aristokratische Weiblichkeit zu: „Lady Gaga ist die Marie Antoinette der Musikbranche, ein mittlerer Charakter, aber mit den tollsten Kleidern und Frisuren. Immer zu dick aufgetragen, immer zu teuer.“ (Fromme 2010)

Oft wird ihre Weiblichkeit unter Klassenvorzeichen bewertet und in Kontrast zu Britney Spears gesetzt – posh statt proll, intelligent statt dumm, selbstbestimmt statt psycho. Lady Gaga habe „weniger mit Britney Spears zu tun […] und mehr mit solchen Erotik-Irritatorinnen wie den Sängerinnen Peaches oder Beth Ditto – Frauen, die sehr souverän über ihr Image, ihren Körper, ihre Sexualität bestimmen.“ (Diez 2009)

Wenn überhaupt von einer Monster- oder Cyborg-Identität die Rede ist, geht es nie explizit um die Abschaffung von Zweigeschlechtlichkeit. So setzt Spex die Performanz mit der Absage an Schönheitsnormen gleich: „GaGa [sic] geht es [...] um die Erfindung eines öffentlichen Pop-Körpers, der keine Aussehens-Imperative mehr perpetuiert, weil er sich im Bereich des Monströsen ansiedelt“ (Eckardt 2010: 89). Die Süddeutsche Zeitung stilisiert sie als Ausdruck einer selbstbewussten Peinlichkeit: „Wem es gelingt, die Würdelosigkeit als Ansichtssache zu entlarven, der hat es darauf abgesehen, die Monströsität der Normalität zu enttarnen“ (Rabe 2009). Oder der Cyborg wird Symbol für die Austauschbarkeit der Typen, die Lady Gaga repräsentiere:

„Aufgrund ihrer fast schon beängstigenden Kompatibilität mit den unterschiedlichsten Stilen hat sie eine heiße Debatte im Internet ausgelöst. Ist sie am Ende gar kein Mensch, sondern eine Art Roboter? In Zeiten, in der [sic] viele das Verschwinden des Menschlichen befürchten, wird Lady Gaga als Vorläuferin einer neuen, posthumanen Lebensstrategie gefeiert. Sie hat jede Form der Identität aufgegeben.“ (Thumfahrt 2011)

Im Diskurs um geschlechtliche Identität lautet die Frage daher vordergründig nicht: Männlich oder weiblich?, sondern: Natürlich oder künstlich? So fragt Spex den Friseur Mindu: „Verraten Sie mir: Wie sieht eigentlich Lady Gagas echtes Haar aus?“ (Kedves 2010: 81). Antwort: „Sie trägt einen blondierten Bob mit geradem Pony. Das ist ihr echtes Haar – glaube ich zumindest. Auch ich kann es nicht mehr wirklich auseinanderhalten“ (ebd.). Ähnlich in Welt Online: „Wie sieht denn Lady Gagas echtes Haar aus?“ (Welt Online 2010). Antwort: „Keine Ahnung. Ich denke, sie wurde mit einer Perücke geboren“ (ebd.).

Die Inszenierung und Rezeption verhandelt auch eine mögliche bisexuelle Identität. Dem Rolling Stone sagte Lady Gaga, sie sei bisexuell, ihr Begehren gegenüber Frauen sei aber rein körperlich. Ihr Freund fände das „unangenehm“ (Rolling Stone 2009). Gegenüber abc sagte sie: „Ich war noch nie in eine Frau verliebt. Ich hatte natürlich sexuelle Beziehungen zu Frauen.“ (Walters 2009) Damit entspricht ihre ‚Bisexualität’ dem heterosexuellen Mainstream bzw. dem Objekt eines männlichen Blicks mehr als einem lesbischen Begehren.

Auf einer LGBTI-Demonstration grenzte sie sich gleichzeitig von geschlechtlicher Uneindeutigkeit und eigener Homosexualität ab („Als Frau habe ich die schönsten homosexuellen Freunde der Welt”, vgl. Wesemüller 2009b). In der Rezeption wird trotzdem weiter mit der Zuschreibung lesbischer Identität gespielt. Von Bild veröffentlichte Fotos veranlassten jedoch selbst die Boulevard-Zeitung nur noch zu der vorsichtigen Formulierung, es scheine, als ob Lady Gaga eine Frau küsse, die Bilder sähen nach „Lesben-Liebe aus“ (Bild.de 2010). In den bürgerlichen Medien wird hingegen Lady Gagas Assoziiertheit (und damit ihre Nicht-Identität) mit der Gay-Community betont: „[...] die Schwulen [haben sie] lieb“ (Tsomou 2010).

Bezogen auf die Hoffnung Haraways lässt sich schließen, dass die Figur des Cyborgs bei Lady Gaga nicht zu einer Welt ohne Gender führen wird. Sie wird als Frau wahrgenommen, ihre ‚Bisexualität’ ist Teil des zwangsheterosexuellen Diskurses. Dabei ist auffällig, dass – anders als bei Spears – selten Rückschlüsse auf den Menschen „hinter“ Lady Gaga gezogen werden. Dies könnte bedeuten, dass Lady Gaga den Diskurs stark mitbestimmt, wie sie selbst glauben lassen möchte.16 Wahrscheinlicher aber ist, dass eine Performanz, die die Künstlichkeit zum Prinzip erhebt, eher toleriert und als weniger bedrohlich wahrgenommen wird (zumal sie sich bewusst scheinbar außerhalb stellt und damit nicht außerhalb steht), als die außer Rand und Band geratene, Weiblichkeit gefährdende Performanz einer Britney Spears. Zusammen mit der permanenten Bestätigung, eine Frau zu sein, kann Lady Gagas Monster-Performanz als eine Art Unique-Selling-Point der Flexibilität in den Diskurs eingeschlossen werden.

Im Gegensatz zu den subversiven Funden des Feuilletons – das z.B. die „Austauschbarkeit und Leere ihrer Referenzen“ (Tsomou 2010) feiert – konnte gezeigt werden, dass ihre Referenzen keinesfalls leer sind:17 Lady Gagas geschlechtliche Identität sagt eben nicht alles (und damit nichts) aus. Sie performt eine ganz bestimmte Weiblichkeit, die mit weißen Schönheitsnormen genauso übereinstimmt wie mit der Anforderung der permanenten, flexiblen Gestaltung des Selbst im Kapitalismus.

Lady Gaga stellt damit in Haraways Sinn keine ‚Verletzungen’ oder ‚Monströsitäten’ aus, sondern inszeniert sich im Gegenteil (auch zu Britney Spears) als unverletzbares Produkt, das Herr (!) über seine Rezeption ist. Sie propagiert damit eine ideologische Form der Selbstbestimmung, die im Gegenzug jegliche Diskriminierung – aufgrund von Sexismus, Homophobie oder Heteronormativität – dem Privaten zuweist: Wer so etwas auf sich zieht, wem das etwas ausmacht, so das Credo, ist selber schuld. Diese Einstellung kulminiert in dem Diktum von Born this way: „Don't be a drag, just be a queen“, das Haraways Devise „Lieber Cyborg als Göttin“ (vgl. Haraway 1995) von den Füßen auf den Kopf stellt.

Politischer Ausblick

Die Analyse der Inszenierung und medialen Rezeption geschlechtlicher und sexueller Identitäten zeigt, dass es in Bezug auf Haare, die vom Gesetz des Ideals der Weiblichkeit abweichen, unterschiedliche Strategien der Sexualisierung und Ent-Sexualisierung, Ver- und Entweiblichung der Trägerinnen gibt, die in ihrer Gesamtheit bewirken, Zweigeschlechtlichkeit, Heteronormativität und patriarchale Strukturen zu erhalten und zu stabilisieren. Zwar lässt sich bei Lady Gaga eine Vervielfältigung von Weiblichkeiten über den Einschluss der Figur des Cyborgs aufzeigen, die monströse Performanz wird jedoch (auch von ihr selbst) von ihrem subversiven Potential bereinigt, um den Popstar wieder als Frau einzusetzen. Der Fall Spears macht deutlich, dass auch der Ausschluss (z.B. über Pathologisierung) Teil des Weiblichkeits-Diskurses ist, der ermöglicht, die Sängerin als Frau in den Diskurs zu (re-)integrieren.

Britney Spears ist nicht ‚Opfer’ dieses Diskurses, genauso wenig wie Lady Gaga dessen ‚Macherin’ ist. Beide Perzeptionen von Handlungsfähigkeit schreiben den selben Diskurs über unterschiedliche Weiblichkeiten fort, u.a. indem sie mit Klassenzuschreibungen arbeiten. Sie sind damit Ausdruck von Deutungshoheiten über Strategien und Performanzen, die als Reaktion auf das patriarchale Geschlechterverhältnis im Kapitalismus angeeignet wurden.

In Bezug auf die Fragestellung, wo geschlechtliche Stereotype (durch Haare) re-produziert oder durchbrochen werden, kann festgestellt werden, dass sowohl Glatze als auch Perücke das Potential haben, subversiv zu wirken, dass sich dieses Potential aber nicht materialisiert. Selbst da, wo Subversion von Geschlecht zugeschrieben wird, ist auffällig, wie schwer es Popkritiker_innen und -theoretiker_innen fällt, genau zu sagen, worin diese Subversion bestehen soll. In Ermangelung einer Antwort wird genau diese Leerstelle zum subversiven Prinzip erhoben. Dieser Widerspruch bleibt oft unbemerkt und unwidersprochen bestehen.

Der Diskurs um die Rezeption der Haare von Popstars zeigt sich als Ausdruck von Geschlechterverhältnissen im Krisen-Kapitalismus, in dem Machtdifferenzen nicht aufgehoben, sondern als individuelle Lösungs-Anforderungen ins Private abgeschoben werden.

Weiblichkeit bleibt trotz aller dargestellten Vielfalt erhalten und geht – nach kurzer Erschütterung – gestärkt aus der Verunsicherung hervor. Wenn es Störungen gibt, werden diese durch die Inszenierungen der Künstlerinnen selbst oder die Rezeption beruhigt.

Abweichende Performanzen wurden nicht mit einer (queer-)feministischen Praxis verbunden, die patriarchale Verhältnisse angreift. Nirgends wurde der feministische Beitrag geleistet, durch die Haare bzw. deren mediale Besprechung Geschlecht als Aufführung anzusehen und dadurch patriarchale Strukturen der Gesellschaft aufzudecken und anzugreifen. Das fehlende Potential zu einer gelungen Subversion liegt dabei auch an der schwachen (queer-)feministischen Bewegung, die keine Wirkungsmacht im Diskurs hat, um subversive Potentiale aufnehmen oder betonen zu können.

Wie, um alles wieder gut zu machen, heißt das jüngste, 2011 erschienene Album von Britney Spears „Femme Fatal“. Das Feuilleton feiert es als ihr Comeback.

Literatur

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Analysierte Medien

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Fußnoten

1Ich schreibe Frau/ Mann, wenn ich mich auf Diskurse beziehe, welche Zweigeschlechtlichkeit (re-)produzieren und die soziale Konstruktion von Geschlecht außer Acht lassen.

2Dieser Zustand dauert zum Zeitpunkt des Artikels an (September 2011).

3Ein Ziel der Riot-Grrrl-Bewegung war es bspw., Körper so zu inszenieren, dass sie normative Geschlechterzuschreibungen und -praxen in Frage stellen. Das Färben der Haupthaare, das Nicht-Rasieren der Achsel- und Beinhaare sowie das Ankleben von Bärten spielten in den Inszenierungen eine wichtige Rolle (vgl. Wesemüller 2009a).

4Die in diesem Artikel dargestellten Performanzen und Rezeptionen von Haaren und Geschlecht möchte ich im Kontext gesellschaftlicher Machtverhältnisse – hier: feministischer Backlash unter neoliberalen Bedingungen – analysieren (vgl. McRobbie 2010). Dabei stimme ich mit den Herausgeber_innen dieses Sammelbandes in Bezug auf Engel überein, dass es kaum mehr Ausschließung und Verwerfung sondern differenzierte Integration von geschlechtlichen Identitäten gibt (vgl. Engel 2009). Ich verstehe diese Vervielfältigung jedoch nicht per se als subversiv oder emanzipativ, sondern auch als Teil der Macht, die sich über die Produktion und Ausbreitung von Sexualitäten stabilisiert (vgl. Foucault 1977). Trotzdem sind Mechanismen der Ausschließung und Verwerfung immer noch wesentlicher Bestandteil der diskursiven Produktion von Weiblichkeit, z.B. in Form von Pathologisierung und (Ent-)Sexualisierung, wie ich am Beispiel von Spears' Glatze zeigen werde.

5Dass „Cyborg“ in der deutschen Übersetzung einen männlichen Artikel erhält, wird dem ihm eingeschriebenen Konzept der Aufhebung von Zweigeschlechtlichkeit nicht gerecht.

6Ich kann an dieser Stelle nicht auf andere Ungleichheitskategorien eingehen. Es sei deshalb nur angemerkt, dass den Haarträger_innen nicht nur über Geschlechter-, sondern auch über Klassendiskurse spezifische Charakteristika zugeschrieben werden. So titelt Bild: „Britney nur noch Proll“ und befürchtet, Spears würde „verlottern“ (Bild.de 2007a; b). Der Friseursalon war laut New Weekly ein „Billig-Friseur“ (New Weekly 2007, e.Ü.), am nächsten Tag trug Spears laut New York Magazine eine „billige Perücke“ (Stevens 2007. e.Ü.). Lady Gaga hingegen ist laut Süddeutsche Zeitung ein „kluger Superstar“, der nicht „so tumb ist wie Britney Spears“, „aus bestem New Yorker Hause“ stamme, Beethoven verehre, „jeden Tag“ Rilke lese und Andy Warhole zitiere (Rabe 2009; Fromme 2010).

7Der performative Akt ist laut Butler weder ein vereinzelter Akt, noch absichtsvoll/ reflektiert oder individuell. Nicht das Subjekt verschafft sich über die Performativität Existenz sondern die Macht des Diskurses schafft das Subjekt. Performativität ist Zitatförmigkeit: Sie zitiert das Gesetz, welches die Ideale von „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“ ausstellt. Das Subjekt ist nicht der Urheber dieses Aktes – dies scheint nur so, weil das Zitat verborgen wird. Der performative Akt ist eine ständige Wiederholung, die die Konventionen verbirgt, die sie hervorbringt. Der Akt ist eine unfreie Aneignung, da er unter dem Zwang zur Heterosexualität stattfindet. Wenn ein Subjekt gegen diese Normen kämpft, sind es diese Normen selbst, die den Kampf ermöglichen. (Butler 1997: 35ff.).

8Butler stellt die These auf, dass Körper, weil sie als natürlich gelten, zum Schauplatz von dissonanten und ent-naturalisierten Performanzen werden können, die den performativen Status des Natürlichen selbst enthüllen (vgl. Butler 1991). Dabei sei es nicht die Aufgabe, eine Position außerhalb der konstruierten Kategorie Frau/ Mann zu suchen, sondern an Parodie und Wiederholungen der Performanz teilzunehmen, um so die Vorstellung von Ursprünglichkeit herauszufordern. In einem kurzen Absatz gibt Butler jedoch auch die Bedingungen und Beschränkungen – den Kontext und die Rezeption – der Subversion zu bedenken: „Die Parodie an sich ist nicht subversiv. Also muss es eine Möglichkeit geben zu verstehen, wodurch bestimmte Formen parodistischer Wiederholung wirklich störend bzw. wahrhaftig verstörend wirken und welche Wiederholungen dagegen gezähmt sind und erneut als Instrumente der kulturellen Hegemonie in Umlauf gebracht werden. Eine Typologie der Akte wäre hier eindeutig nicht ausreichend, weil die parodistische Verschiebung, das parodistische Gelächter von dem Kontext und der Rezeption abhängen, die die parodistische Verwirrung zu fördern vermögen.” (Butler 1991: 204).

9Zum Diskurs über derangierte Haare und sexualisierte Gewalt vgl. Künzel 2004.

10Rasierte Haare werden in der Literatur oft als Metapher für die Shoah unter der besonderen Betrachtung von Geschlechterverhältnissen gebraucht (vgl. Paul Celan, Elfriede Jelinek). Laut Nickening wird hier die Roland Barthes'sche These der Mythenbildung – die Verwandlung von Geschichte in Natur – umgedreht: Natur entpuppt sich als historische Gewalttat (vgl. Nickening 2008: 218).

11In einem Aufsatz für die Universität schrieb sie in Auseinandersetzung mit Montaignes „Über eine Missgeburt“: „Wenn wir etwas als gegensätzlich zur Gewohnheit ansehen, schreiben wir ihm eine monströse Qualität zu. […] Es ist möglich, dass wir in unserer Nacktheit, in unserer Deformiertheit nicht nur unsere Verletzlichkeit offenbaren, unsere Haut, unsere Narben, unsere Makel und unsere Genitalien. Wir offenbaren auch unsere Geheimnisse.“ (Germanotta 2004).

12Der Schock muss nicht zur Subversion führen. So beschreibt Benjamin aus psychoanalytischer Sicht die „Verarbeitung“ eines Schocks durch die „Schockabwehr“, die dem Schock-auslösenden Vorfall einen Platz im Bewusstsein zuweise, wobei der Inhalt des Schocks verloren gehe (vgl. Benjamin 1977: 190f.). Daran anschließend zitiert Bürger Untersuchungen über die Rezeption von Dada-Kunstwerken, in denen sich der Schock als erstens nicht von Dauer und zweitens als unspezifisch zeigte: So war eine mögliche Reaktion auf den Schock blinde Wut, die den vorhandenen Einstellungen Anlass gab, sich manifest zu äußern und sich somit zu verstärken (vgl. Bürger 1974: 108).

13„Ja, ich habe beides, männliche und weibliche Genitalien, aber ich sehe mich selbst als Frau. Es ist nur ein ganz kleiner Penis und er stört mich nicht wirklich in meinem Alltag. Der Grund, warum ich bisher nicht darüber geredet habe, ist, dass es keine große Sache für mich ist. Es ist ja nun nicht so, dass wir alle rumlaufen und über unsere Vaginas reden. Ich denke, dass es eine großartige Möglichkeit ist dazu beizutragen, dass andere, vielfältig gegenderte Menschen sich mit ihren Körpern wohler fühlen. Ich bin sexy, ich bin heiß. Ich habe beides: eine Muschi und einen Pinkelmann.“ (Gone Hollywood 2009, e.Ü.).

14Auf die Frage einer Viva-Moderatorin, ob sie einen Penis habe, sagte sie: „Meine wunderschöne Vagina ist sehr beleidigt von dieser Frage.” (Peter 2009).

15„Ich bin keine Feministin.“ (Waechter 2009).

16„Für mich ist das sehr einfach: Ich werde niemandem erlauben, mich in einer Weise zu porträtieren, die seiner Idee davon entspricht, was er denkt, dass ich bin.“ (Barber 2009, e.Ü.)

17Selbst wenn die Referenzen leer wären, müsste mensch sich fragen, ob das im Kontext einer patriarchalen Gesellschaft ein feministischer Erfolg wäre. Diese Gleichsetzung wird jedoch in den analysierten Artikeln nicht hinterfragt.